Amnesty International und Human Rights Watch fordern die kambodschanischen Behörden auf, Chhim Sithar, die Vorsitzende der “Labor Rights Supported Union (LRSU) of Khmer Employees of NagaWorld”, unverzüglich und bedingungslos aus der Haft zu entlassen und alle Anklagen gegen sie fallen zu lassen. Sie ist einzig und allein wegen ihrer Arbeit zur Verteidigung der Arbeitnehmerrechte inhaftiert, was einen Verstoß gegen die internationalen Menschenrechtsgesetze darstellt.
Am 26. November 2022 war Sithar auf dem Rückweg von einer Australienreise, als sie verhaftet wurde, weil sie angeblich gegen Kautionsauflagen verstoßen hatte, über die weder sie noch ihr Anwalt informiert wurden. Ihrem Anwalt wurde die Akte, die die Kautionsbedingungen enthalten sollte, nicht vorgelegt, obwohl er darum gebeten hatte.
Sithar war nach Australien gereist, um im November am Weltkongress des Internationalen Gewerkschaftsbundes teilzunehmen.
Amnesty International und Human Rights Watch sind besorgt darüber, dass die erneute Inhaftierung von Sithar wegen angeblicher Verletzung der Kautionsauflagen ausschließlich auf ihr Treffen mit anderen Gewerkschaften und die friedliche Ausübung ihrer Rechte auf Meinungs- und Vereinigungsfreiheit zurückzuführen ist. Ihre Inhaftierung untergräbt auch das Recht der Arbeitnehmer_innen, sich zu organisieren und Kollektivverhandlungen zu führen.
Am 21. November 2022 veröffentlichte Human Rights Watch einen Bericht, in dem die Art und Weise dokumentiert wurde, wie die kambodschanische Regierung gegen Gewerkschaftsmitglieder vorgegangen ist, einschließlich des Falles von Sithar. Sithar wird in dem Bericht über die Taktiken kambodschanischer Beamten und von NagaWorld, einem in Hongkong notierten Unternehmen, das ein Kasino in Phnom Penh betreibt, gegen unabhängige Gewerkschaften zitiert.
Sithar wurde erstmals am 3. Januar 2022 angeklagt, als sie und andere Gewerkschaftsmitglieder einen vielbeachteten Streik gegen NagaWorld durchführten. Die kambodschanischen Behörden beschuldigten Sithar des Verbrechens der “Anstiftung zu einer Straftat” gemäß Artikel 494 und 495 des kambodschanischen Strafgesetzbuchs, haben jedoch bisher keine Beweise für die Anschuldigungen vorgelegt. Die haltlosen Anschuldigungen zeigen, dass die Behörden das Strafrechtssystem missbraucht haben, um die friedlich streikenden Gewerkschaftsmitglieder ins Visier zu nehmen, zu schikanieren und zu untergraben.
Berichten zufolge näherten sich am folgenden Tag, dem 4. Januar 2022, Sicherheitsbeamt_innen in zivil Sithar in einer Menschenmenge und verhafteten sie gewaltsam, indem sie sie am Hals packten und in ein Auto zerrten, als sie versuchte, sich einem Streik gegen NagaWorld anzuschließen. Sithar wurde 74 Tage lang in Untersuchungshaft gehalten und später gegen Kaution freigelassen.
Die kambodschanischen Behörden machen geltend, dass Sithars angebliche Verstöße gegen ihre Kautionsauflagen nach ihrer Reise nach Australien ihre Untersuchungshaft rechtfertigen. Weder Sithar noch ihr Anwalt wurden jedoch über ein Reiseverbot oder andere Beschränkungen informiert, die als Teil ihrer Kautionsauflagen verhängt wurden. Seit Sithar im März gegen Kaution freigelassen wurde, ist sie im September und Oktober zweimal nach Thailand gereist, ohne dass ihr dabei irgendwelche Beschränkungen auferlegt worden wären. Diese Beschränkungen ergeben sich aus Anklagen, die ausschließlich als Repressalie für ihre Arbeit zur Verteidigung der Arbeitnehmerrechte erhoben wurden, was ihre Inhaftierung willkürlich macht.
Die kambodschanischen Behörden missbrauchen das Justizsystem, um Sithar allein wegen ihrer Arbeit als Gewerkschaftsführerin der LRSU ins Visier zu nehmen und zu schikanieren. Im April 2021 führte NagaWorld eine Massenentlassung durch, bei der es um die ungerechtfertigte Entlassung von 1.329 Kasinobeschäftigten ging, was zu Streikaktionen führte, die bis heute andauern. Von der Entlassung waren Gewerkschaftsführer_innen und -mitglieder unverhältnismäßig stark betroffen.
Laut Internationalen Menschenrechtsgesetzen und -normen, dürfen Beschäftigte nicht diskriminiert oder angegriffen werden, weil sie sich an Gewerkschaftsaktivitäten beteiligen. Dieser Schutz vor gewerkschaftsfeindlicher Diskriminierung umfasst auch die Entlassung aufgrund der Teilnahme an Gewerkschaftsaktivitäten. Die kambodschanischen Behörden sind nach den internationalen Menschenrechtsgesetzen nicht nur verpflichtet, die Rechte der Beschäftigten zu respektieren, sondern auch, diese Rechte vor Missbrauch durch private Akteure zu schützen. Diese Verpflichtungen sind im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte und im Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte verankert, die beide von Kambodscha ratifiziert wurden, sowie im Übereinkommen Nr. 87 der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO), das das Recht auf Vereinigungsfreiheit und das Recht, sich zu organisieren, schützt.
Während des Streiks bei NagaWorld haben die Behörden wiederholt gegen die internationalen Menschenrechte und das Arbeitsrecht verstoßen. Die kambodschanische Polizei hat Beschäftigte geschlagen, friedlich streikende Beschäftigte in Busse gezwungen, um Proteste aufzulösen, und Gewerkschaftsführer_innen und -mitglieder willkürlich festgenommen.
Die Verhaftungen von Sithar spiegeln ein Muster diskriminierender und politisch motivierter Vergeltungsmaßnahmen der Regierungsbehörden gegen Gewerkschaftsführer_innen wider, die versuchen, die kambodschanische Regierung und Unternehmen für ihr Versagen beim Schutz der Arbeitnehmerrechte zur Verantwortung zu ziehen.
Amnesty International und Human Rights Watch fordern die kambodschanischen Behörden auf, Chhim Sithar unverzüglich und bedingungslos freizulassen und alle Anklagen gegen sie und andere Gewerkschaftsmitglieder und Beschäftigte der LRSU fallen zu lassen, die ausschließlich wegen ihrer Arbeit zur Verteidigung der Arbeitnehmerrechte verfolgt werden. Die Behörden sollten auch eine unverzügliche, gründliche, unabhängige und unparteiische Untersuchung der Umstände durchführen, die zu der willkürlichen Verhaftung von Sithar und anderen Gewerkschaftsmitgliedern der LRSU geführt haben, und sicherstellen, dass keine weiteren Gewerkschaftsmitglieder ins Visier der Strafjustiz geraten. Schließlich fordern wir die kambodschanischen Behörden auf, die kambodschanischen Gesetze und Vorschriften in vollem Umfang mit den internationalen Menschenrechtsgesetzen und den Bestimmungen des von Kambodscha ratifizierten IAO-Übereinkommens Nr. 87 in Einklang zu bringen und so das Recht auf Vereinigungsfreiheit und das Recht, sich zu organisieren und Tarifverhandlungen zu führen, im ganzen Land zu garantieren.