Als Reaktion auf die Verurteilung der Demonstrantin Jatuphon “Niw” Saeung zu zwei Jahren Haft wegen ihrer Teilnahme an einer Modenschau in Thailand im Oktober 2020 sagte der stellvertretende Generalsekretär von Amnesty International, Kyle Ward:
“Die Modenschau war eine satirische Auseinandersetzung mit der politischen Situation des Landes – eine friedliche öffentliche Veranstaltung, die einem Straßenfest mit Musik, Essen und Tanz ähnelte. Die Teilnehmer_innen sollten nicht für die Teilnahme an einer friedlichen Versammlung bestraft werden.
“Dieses Urteil, das mindestens die zehnte Verurteilung wegen Majestätsbeleidigung seit 2021 ist, ist ein abschreckender Vorgeschmack auf das, was noch kommen wird: Seit Beginn der überwältigend friedlichen Massenproteste im Jahr 2020 wurde eine Rekordzahl von 210 Aktivist_innen und Demonstrant_innen nach Artikel 112 des thailändischen Strafgesetzes angeklagt.
“Wir fordern die Behörden auf, sofort alle Anklagen gegen diejenigen fallen zu lassen, die lediglich ihr Menschenrecht auf freie Meinungsäußerung und friedliche Versammlung wahrgenommen haben, und die willkürlich Inhaftierten freizulassen.
“Angesichts der wieder aufflammenden Proteste in Thailand unterstreicht diese jüngste Verurteilung das Ausmaß, in dem die thailändischen Behörden friedliche Meinungsverschiedenheiten weiterhin unterdrücken.
“Die thailändischen Behörden sind verpflichtet, die friedliche Ausübung des Rechts auf Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit zu schützen, aber stattdessen gehen sie weiterhin strafrechtlich gegen Demonstrant_innen vor, von denen viele junge Menschen oder sogar Kinder sind. Diese jungen Demonstrant_innen sollten ihre Meinung frei äußern und sich an gesellschaftlichen Diskussionen beteiligen können und nicht mit der Aussicht auf ungerechtfertigte Gefängnisstrafen und Vorstrafen konfrontiert werden.”
Hintergrund
Das Strafgericht in Bangkok verurteilte am 12. September 2022 die Demonstrantin Jatuphon “Niw” Saeung zunächst zu drei Jahren Gefängnis, nachdem die Behörden sie wegen Beleidigung der Monarchie gemäß Artikel 112 des Strafgesetzbuchs angeklagt hatten. Nach diesem Gesetz kann jeder, der wegen Verleumdung, Beleidigung oder Bedrohung des Königs, der Königin, des Thronfolgers oder des Regenten verurteilt wird, zu einer Haftstrafe von drei bis 15 Jahren verurteilt werden. Das Gericht reduzierte ihre Strafe um ein Drittel auf zwei Jahre Gefängnis, da sie den Behörden Informationen zur Verfügung gestellt hatte. In demselben Fall wurde Niw auch wegen Verstoßes gegen das Gesetz über öffentliche Versammlungen zu einer Geldstrafe von 1.500 THB verurteilt. Das Gericht reduzierte die Geldstrafe später auf 1.000 THB. Niw ist derzeit in der Central Women’s Correctional Institution in Bangkok inhaftiert, während sie auf die Entscheidung des Berufungsgerichts über ihren Antrag auf Kaution wartet.
Menschenrechtsexpert_innen der Vereinten Nationen haben wiederholt ihre Besorgnis über die zunehmende Anwendung dieser Bestimmung geäußert und darauf hingewiesen, dass sie eine abschreckende Wirkung auf die friedliche Ausübung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit hat. UN-Expert_innen und andere Mitgliedstaaten haben die Behörden wiederholt aufgefordert, Artikel 112 aufzuheben oder so zu ändern, dass er mit den internationalen Menschenrechtsverpflichtungen Thailands vereinbar ist.
Niw nahm am 29. Oktober 2020 an einer satirischen Modenschau in der Silom Road in Bangkok teil. Ihr wurde vorgeworfen, die thailändische Königin zu imitieren und zu verhöhnen, indem sie ein traditionelles thailändisches Kleid trug.
Die Demonstration im Oktober 2020 war eine von Dutzenden im Jahr 2020 und Anfang 2021, als Zehn- und möglicherweise Hunderttausende überwiegend friedliche und junge Demonstrant_innen, darunter auch Kinder, auf die Straße gingen, um politische, wirtschaftliche und soziale Reformen in Thailand zu fordern. Die Behörden haben gegen mehr als 1 800 Aktivist_innen, darunter über 280 Kinder, Strafverfahren eingeleitet, weil sie an den Protesten teilgenommen und ihre Meinung geäußert hatten.
Seit November 2020 wurden nach Angaben der Organisation “Thailändische Anwält_innen für Menschenrechte” mindestens 210 Personen, darunter 17 Kinder, wegen Majestätsbeleidigung angeklagt, wobei zwischen 2021 und 2022 zehn Verurteilungen ausgesprochen wurden, so die Gruppe.
Amnesty International äußert sich nicht zur Art der Reden, die als Verstoß gegen die Vorschrift angesehen werden, fordert die Behörden jedoch dringend auf, ihrer völkerrechtlichen Verpflichtung zur Achtung, zum Schutz und zur Förderung der friedlichen Ausübung des Rechts auf freie Meinungsäußerung nachzukommen.
Thailand ist Vertragsstaat des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (ICCPR), der in Artikel 19 das Recht auf freie Meinungsäußerung und in Artikel 21 das Recht auf friedliche Versammlung schützt. Der UN-Menschenrechtsausschuss, das für die Überwachung der Umsetzung des ICCPR zuständige Vertragsorgan, hat sich besorgt über die Gesetze zur Bekämpfung der Majestätsbeleidigung geäußert. Er erklärte, dass alle Personen des öffentlichen Lebens, einschließlich derjenigen, die höchste politische Autorität ausüben, legitimerweise Kritik und politischer Opposition ausgesetzt sind und dass Kritik an staatlichen Institutionen nicht verboten werden sollte. Selbst wenn der mutmaßliche Verstoß gegen “lèse majesté” als Verleumdungsdelikt angesehen wird, hat der Ausschuss weiter festgestellt, dass “eine Freiheitsstrafe niemals eine angemessene Strafe ist”.
Auch andere UN-Mitgliedsstaaten haben immer wieder Empfehlungen zur Abschaffung der Majestätsbeleidigung im Strafgesetzbuch ausgesprochen, so zum Beispiel im Rahmen der allgemeinen regelmäßigen Überprüfung Thailands durch den UN-Menschenrechtsrat. Die thailändische Regierung hat diese Empfehlungen bisher stets zurückgewiesen.