Emerlynne Gil, stellvertretende Regionaldirektorin bei Amnesty International, kommentierte die grundsätzliche Zustimmung des thailändischen Parlaments zu einem Gesetzesentwurf, der erstmals sowohl Folter als auch Verschwindenlassen in Thailand unter Strafe stellen soll:
“Amnesty International begrüßt die heutige Entwicklung, dass zum ersten Mal, die Gesetzgebung zu diesen Verbrechen dieses Stadium erreicht hat. Dieser symbolische Akt zeigt, dass die Regierung die Notwendigkeit anerkennt, die Menschen vor diesen abscheulichen Verbrechen zu schützen und den Opfern und ihren Familien längst überfällige Gerechtigkeit zu verschaffen.”
“Die Behörden müssen nun die nächsten Schritte unternehmen und sicherstellen, dass die bestehenden Gesetzesentwürfe weiterentwickelt werden, um den internationalen Menschenrechtsverpflichtungen Thailands in vollem Umfang zu entsprechen – und dann zügig in Kraft gesetzt werden.”
“Die Verzögerung, mit der die Regierung Folter und Verschwindenlassen unter Strafe gestellt hat, hat den Opfern den Zugang zur Justiz verwehrt und andere davon abgehalten, sich zu melden. Außerdem hat sie den Beamten die Botschaft vermittelt, dass sie diese Verstöße ungestraft begehen können.”
“Folteropfer und Angehörige von Verschwundenen – wie der Rechtsanwalt Somchai Neelapaijt und der entführte Aktivist Wanchalearm Satsaksit – haben sich für ein Gesetz eingesetzt, das es ihnen ermöglicht, Gerechtigkeit, Wahrheit und Wiedergutmachung für ihre Familienangehörigen zu erlangen; dieser Gesetzesentwurf könnte ihnen, wenn er geändert wird, den Weg dazu ebnen.”
“Die Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs ist ein wichtiger erster Schritt, reicht aber allein nicht aus. Die jüngsten Berichte über Polizeifolter machen deutlich, dass die thailändische Regierung wirksam gegen eine Kultur der Folter und des Machtmissbrauchs durch einige Beamte vorgehen muss.”
“Amnesty International fordert die Behörden auf, ein Gesetz zu verabschieden, das Definitionen von Folter und gewaltsamem Verschwindenlassen in voller Übereinstimmung mit dem Völkerrecht enthält, die rechtliche Verantwortung an allen Stellen der Befehlskette ansiedelt und den Rechtsgrundsatz der Nichtzurückweisung respektiert.”
Hintergrund
Das thailändische Parlament hat heute einen Gesetzentwurf zur Verhütung und Bekämpfung von Folter und Verschwindenlassen angenommen und einen Zeitplan für die Verabschiedung des Gesetzes bis Anfang 2022 festgelegt. Nach einer siebentägigen Frist für Änderungsanträge wird das Parlament versuchen, diesen Gesetzesentwurf mit drei anderen Gesetzesentwürfen zum gleichen Thema zu kombinieren, bevor es sie innerhalb von 90 bis 120 Tagen erneut dem Parlament zur Prüfung vorlegt.
Die Regierung hatte den Gesetzesentwurf erstmals 2014 ausgearbeitet, ihn aber auf Eis gelegt, nachdem die Behörden ihn in den letzten Jahren wiederholt geändert, verzögert und offenbar ausgesetzt hatten.
Der aktuelle Gesetzesentwurf weist nach wie vor entscheidende Lücken auf, u. a. in Bezug auf Garantien für die Inhaftierung, die universelle Gerichtsbarkeit, das Verbot der Anerkennung von durch Folter erlangten Informationen als Beweismittel sowie Bedenken hinsichtlich der Anwendbarkeit von Verjährungsfristen.
Obwohl Thailand 2007 das Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche und erniedrigende Behandlung oder Strafe ratifiziert und 2012 das Internationale Übereinkommen der Vereinten Nationen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen unterzeichnet hat, haben die Behörden weiterhin gegen diese Übereinkommen verstoßen.
Amnesty International hat zahlreiche Fälle von Folter und grausamer, unmenschlicher und erniedrigender Behandlung durch die thailändische Polizei und die Armee sowie zahlreiche Fälle von gewaltsamem Verschwindenlassen dokumentiert. Zu den zahlreichen Opfern dieser Verbrechen gehören Menschenrechtsverteidiger_innen, mutmaßliche Aufständische, Migranten_innen, Drogenkonsument_innen und Wehrdienstleistende in der Grundausbildung. Darüber hinaus haben die thailändischen Behörden Personen unter Verletzung des Grundsatzes der Nichtzurückweisung zwangsweise in Länder zurückgeschickt, in denen sie der Gefahr von Folter ausgesetzt sind.
Die thailändischen Behörden haben die vorherrschende Kultur der Straflosigkeit noch verstärkt, indem sie Strafverfahren gegen Opfer und Menschenrechtsverteidiger_innen eingeleitet haben, die ihre Bedenken öffentlich gemacht haben.
https://www.amnesty.org/en/latest/news/2021/09/thailand-amnesty-torture-enforced-disappearances/